Ausstellung zu sexuellem Missbrauch

Verbogene Lebensläufe

AUGSBURG – „Ich will kein Opfer mehr sein. Ich will nicht mehr schweigen. Ich will hinsehen. Ich will zeigen, was der Missbrauch mit mir gemacht hat: Ich bin ein verletzter, geschundener Mensch.“ Das sagt ein Mann mit schwarzem T-Shirt vor der Kulisse eines üppigen barocken Kirchenraums in einem Video.

Zu sehen war dieses bei der Ausstellungseröffnung „Betroffene zeigen Gesicht“ im Haus St. Ulrich. 15 Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend in kirchlichem Kontext sexuell missbraucht wurden, geben in kurzen Texten schlaglichtartig Einblick in ihre Seele und ihren Lebenslauf. Die meisten haben auf Anregung der Ausstellungsmacherin Fotos zur Verfügung gestellt, die sie als Kinder zur Zeit ihres Missbrauchs durch geistliche Vertrauenspersonen zeigen. 

„Bilder können uns Geschichten erzählen, sie können aber auch etwas vortäuschen, etwa ein glücklich strahlendes Kindergesicht“, erklärte Hubert Paul von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Diözese Augsburg. Obwohl vielleicht manche Fotos harmlos erschienen, seien es dennoch mutige Bilder. „Die Gesichter der Betroffenen lassen uns innehalten. Sie sagen: ,Höre uns zu.‘“ Paul bedankte sich bei Bischof Bertram Meier, dass er einen anderen wichtigen Termin abgesagt habe, gekommen sei und somit ein Zeichen gesetzt habe. 

Sich zu offenbaren, erfordert großen Mut

Die Missbrauchsthematik belaste ihn persönlich sehr, offenbarte Bischof Bertram. „Jeder der 15 Zeugen hat mich erschüttert“, sagte er. Es erfordere großen Mut, Erlebnisse, die den intimsten Bereich betreffen, anderen zu offenbaren. Der Oberhirte dankte den Betroffenen, die die Ausstellung ermöglicht haben.

Damit konfrontierten sie „mit einer Wirklichkeit, die viele verdrängen wollen“. Er wünsche der Ausstellung „viele Besucher, die sich sensiblisieren lassen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, damit möglichst wenig Menschen in Zukunft solches Leid erfahren müssen.“

Ausstellungsmacherin Ilonka Czerny von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart bekannte, noch nie habe sie eine Ausstellung so berührt wie diese. „Sie werden diese Veranstaltung anders verlassen als sie hierhergekommen sind“, sagte sie an die Gäste gerichtet. Auch ihrer Assistentin, den Layoutern und den Leuten, die an der Vorbereitung der Schau beteiligt waren, hätte es die Sprache verschlagen. 

Den Betroffenen sei es wichtig gewesen, „sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen und sich rückzubesinnen. Kuratorin Czerny kann sich auch eine Erweiterung vorstellen. Falls weitere Missbrauchte sich angesprochen fühlten, sollten sie sich mit ihr in Verbindung setzen. 

Zuerst beim Katholikentag

Bisher war die Schau außer in Stuttgart beim Katholikentag auch in Fulda, Hildesheim, Münster, Limburg und Osnabrück zu sehen. Auf Anregung von Professor Gerda Riedl, Hauptabteilungsleiterin für Grundsatzfragen im Ordinariat, wurden Bilder und Texte auf sogenannte Roll-ups reproduziert. Da die mobilen Rolltafeln aus Polyestergewebe leicht auf- und abgebaut werden können, kann die Ausstellung problemlos in interessierten Pfarreien der Diözese gezeigt werden.

Wer die Tafeln studiert, der wird mit verbogenen Lebensläufen konfrontiert. Immer haben die Opfer einen hohen Preis zu bezahlen. Sie leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, unter Depressionen, Beziehungsstörungen und müssen teilweise am Existenzminimum leben.

Gerhard Buck

Information

Am 28. September sowie am 5., 12. und 19. Oktober steht in der Ausstellung jeweils ein qualifizierter Gesprächspartner zur Verfügung. Öffnungszeiten des Hauses St. Ulrich: Montag bis Freitag von 7 bis 20 Uhr.